Die jüdische Geschichte in Lüneburg
Die Geschichte jüdischen Lebens in Lüneburg kann in drei Phasen eingeteilt werden: Im späten Mittelalter gab es eine jüdische Gemeinde, über die bis heute so gut wie gar nichts bekannt ist und deren Mitglieder nur sehr wenige Spuren hinterlassen haben. Diese erste Phase endete mit einem Pestpogrom im Jahre 1350: die Lüneburger Juden wurden von ihren christlichen Nachbarn erschlagen, einige wenige konnten fliehen.
In der Neuzeit gründete sich um 1700 eine neue jüdische Gemeinde, die zunächst nur aus wenigen Familien bestand, in 19. Jahrhundert bis auf knapp 200 Personen anwuchs und in der NS-Zeit zerstört wurde. Die zweihundertjährige Geschichte der Lüneburger Jüdinnen und Juden dieser Gemeinde steht im Mittelpunkt unserer Website.
Kurz nach Kriegsende gab es für etwa zehn Jahre eine dritte jüdische Gemeinde, gebildet von mehreren Hundert Überlebenden des Holocaust, für die Lüneburg meist nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg in die Emigration war. Ihre Geschichte wird erst seit einigen Jahren erforscht und soll auf dieser Website sukzessive erweitert werden.
Seit den späten 1950er Jahren gibt es keine jüdische Gemeinde in Lüneburg mehr.
Mittelalter (13./14. Jahrhundert)
Der Beginn der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde Lüneburgs liegt weitgehend im Dunkeln: 1288 erwähnt eine Quelle zum ersten Mal eine „platea judeorum“ oder „Jodenstrate“ unterhalb des Kalkbergs. Offenbar lebten zu diesem Zeitpunkt also schon länger einige Juden in der Stadt. 1350 wurden sie fast alle in einem Pestpogrom von ihren christlichen Nachbarn erschlagen, nur wenige konnten fliehen. In den nächsten dreihundert Jahren siedelten sich keine Juden dauerhaft im Stadtgebiet an. Aber die Straße „Auf der Altstadt“, in der auch die mittelalterliche Synagoge stand, war noch bis etwa 1800 unter dem Namen Judenstraße bekannt.
Neuzeit (1680-1945)
Der Weg in die jüdische Gemeinde der Neuzeit begann 1680, als der Landesherr den Textilfabrikanten Jacob Behrens (Sohn des hannoverschen Hofjuden Leffmann Behrens) als „Schutzjuden“ in Lüneburg ansiedelte. Die Lüneburger Bürger wehrten sich gegen den Zuzug von Juden, sodass es bis etwa 1800 nie mehr als fünf jüdische Familien gab, rund 30 Personen. Erst ab etwa 1810 durften auch die ersten Juden in Lüneburg Grundbesitz erwerben. 1823 gewährte der Lüneburger Magistrat der jüdischen Gemeinde endlich einen eigenen Friedhof.
Mit der Judenemanzipation in den 1840er Jahren begann eine neue Phase, die das Ende der Schutzgeldzahlungen und anderer Schikanen mit sich brachte. 1843 konnten drei schon lange ansässige Juden das Bürgerrecht erlangen, bald ließen sich viele weitere Familien in Lüneburg nieder. Waren sie zunächst vor allem im Bankgeschäft tätig, so kamen nach und nach auch andere Gewerbe hinzu.
Stetig wuchs die jüdische Gemeinde weiter, von 48 Personen im Jahr 1848 auf 130 in den 1870er Jahren, bis um 1905 der Höchststand von knapp 180 Mitgliedern erreicht war. Lüneburg hatte nie einen eigenen Rabbiner, aber es gab seit dem 19. Jahrhundert einen festangestellten jüdischen Lehrer. Als Betsaal nutzte die Gemeinde nacheinander verschiedene große Räume in der Stadt. 1894 wurde das prächtige Gebäude der großen Synagoge eingeweiht. Die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg war für die Lüneburger Juden – wie für die deutschen Juden allgemein – eine Zeit der zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung und des wirtschaftlichen Aufstiegs. Es gab in Lüneburg jüdische Bankiers, Kaufleute, Rechtsanwälte und Ärztinnen ebenso wie Arbeiterinnen, Angestellte, Handwerker, Viehhändler, Hausmädchen und Trödler. Ihre Kinder besuchten staatliche Schulen. Jüdinnen und Juden waren in Sportvereinen, Clubs sowie sozialen und kulturellen Vereinigungen aktiv.
Nach 1918 machte sich indes der Antisemitismus auch in Lüneburg häufiger bemerkbar, unter anderem in Schmierereien und Vandalismus an der Synagoge sowie in einem Bombenattentat. Die schwierige wirtschaftliche Lage ließ im Laufe der 1920er Jahre einige Menschen jüdischer Herkunft die Stadt oder sogar das Land verlassen. Zugleich kamen ab 1900 viele Jüdinnen und Juden aus Osteuropa nach Lüneburg, vor allem aus Galizien. Diese zumeist ärmeren „Ostjuden“ und die Mitglieder der bestehenden Lüneburger Gemeinde trennten religiöse Ausrichtungen sowie soziale und kulturelle Unterschiede.
Zu Beginn der NS-Zeit 1933 wurden in Lüneburg 114 Jüdinnen und Juden gezählt, 1937 waren es nur noch 38. Nationalsozialistische Entrechtung, wirtschaftliche Ausblutung und Ausgrenzung vertrieb vor allem die Jüngeren aus der Stadt. In Schule und Beruf zunehmend isoliert und geächtet, ausgestoßen aus der NS-„Volksgemeinschaft“, hatten sie hier keine Zukunft mehr. Sie zogen in größere Städte oder emigrierten. „Arisierungen“ sorgten dafür, dass es im Herbst 1938 nur noch zwei jüdische Geschäftseigentümer in Lüneburg gab. Während des Novemberpogroms 1938 wurden ihre Geschäfte zerstört, alle noch in Lüneburg lebenden Jüdinnen und Juden wurden belästigt, ihre Wohnungen angegriffen und zum Teil zerstört. Die jüdischen Männer wurden festgenommen und ins KZ Sachsenhausen verschleppt. In den Jahren danach konnten noch mehrere Familien unter großem Druck emigrieren, aber einige, vor allem ältere Menschen, schafften es nicht mehr. 1941 begannen die Deportationen „in den Osten“. Die letzten jüdischen Lüneburgerinnen und Lüneburger wurden fast alle ermordet oder starben unter katastrophalen Bedingungen in Lagern. Am Ende des Krieges gab es kein jüdisches Leben in Lüneburg mehr.
Nachkriegszeit (1945-1955)
Die Nähe des KZ Bergen-Belsen und die Tatsache, dass Lüneburg im Krieg weitgehend unzerstört geblieben war, machten die Stadt ab dem Sommer 1945 zu einem Ort für KZ-Überlebende, vor allem aus Osteuropa, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten und wollten. Schnell bildete sich eine neue jüdische Gemeinde aus „DPs“, Displaced Persons, die zeitweilig mehrere Hundert Mitglieder hatte. Lüneburg war für sie jedoch nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Amerika, Australien, Skandinavien oder Israel. Die Gemeinde löste sich schnell wieder auf, Mitte der fünfziger Jahre hatten auch die letzten Mitglieder Lüneburg verlassen oder waren hier gestorben.