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Adolf Schickler [*1867]

Geboren am 15.06.1867 in Buxtehude, gestorben am 12.05.1943 in Theresienstadt im Alter von 76 Jahren
Hulda und Adolf Schickler, September 1938, Lüneburg; Geschichtswerkstatt Lüneburg
Hulda und Adolf Schickler, September ...

Wohnort

Familie Louis Rosenbaum (1900-1906)
Familie Adolf Schickler (1906-1928)
Familie Harry Schickler (1925-1939)
Familie Alfred Hirsch (1937-1938)

Bardowicker Straße 4
Lüneburg

Wohnort

Adolf und Hulda Schickler (1928-1935)

Schillerstraße 42
Lüneburg

Arbeitsstätte

Louis Rosenbaum, Glas-, Porzellan- und Haushaltungsgeschäft (1900-1906)
Adolf Schickler, Schuh- und Bekleidungsgeschäft (1906-1938)

Bardowicker Straße 4
Lüneburg

Wohnort

Familie Abraham Ahrons (1763-1790)
Familie Isaak Abraham Ahrons (1790-1799)
Familie Marcus Heinemann (1862-1939)
Familie Salomon Heinemann (1860er/1870er)
Adolf und Hulda Schickler (1935-1942)
Sally und Lucie Baden-Behr (1939, 1941)

Große Bäckerstraße 23
Lüneburg

Adolf Aron Schickler wurde 1867 in Buxtehude als viertes Kind von Hirsch und Caroline Schickler geb. Salomon geboren. Bald zogen seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern nach Nienburg/Weser. In den 1890ern heiratete Adolf die Kaufmannstochter Hulda Levi, die aus Berkach in Sachsen-Meiningen (heute Thüringen) stammte. Die beiden ließen sich in Nienburg nieder. Adolf Schickler war dort in der Textilbranche tätig. Zwischen 1894 und 1900 bekam das Ehepaar vier Kinder: Harry, Siegmund, Kurt und Käthe.

1906 zog die ganze Familie von Nienburg nach Lüneburg. In der Bardowicker Straße 4 übernahm sie das Haus von Louis Rosenbaum, der hier ein Haushaltswarengeschäft geführt hatte. Die Schicklers bauten nun ein Fachgeschäft für Schuhe und Herrenbekleidung auf, das schon bald zu einer festen Größe und einem sehr beliebten Einkaufsort in Lüneburg wurde. Die Familie wohnte oberhalb des Ladengeschäfts. Alle Kinder arbeiteten zeitweilig im Geschäft mit. 1928 übernahm Sohn Harry Schickler das Geschäft. Adolf und Hulda überließen der nächsten Generation auch ihre Wohnung und zogen in die Schillerstraße 42. Sie arbeiteten jedoch weiterhin gelegentlich im Geschäft mit.

Adolf und Hulda Schickler nahmen ihr Judentum sehr ernst: Hulda Schickler führte einen koscheren Haushalt; die Kinder erhielten Religionsunterricht von einem Lehrer aus Hamburg. Adolf Schickler war jahrzehntelang im Vorstand der Synagogengemeinde aktiv, zuletzt als Erster Vorsteher.

Als die Gemeinde ab den späten 1920er Jahren immer kleiner wurde, lud Adolf Schickler manchmal Juden aus Hamburg ein, um die notwendigen zehn Männer für den „Minjan“, das gemeinsame Beten am Schabbat, zusammenzubekommen. Überliefert ist auch, dass er am Samstagvormittag in Lüneburg Boten herumschickte, mit der Aufforderung an die weniger religiösen jüdischen Geschäftsinhaber, doch kurz ihren Platz hinter dem Ladentisch zu verlassen und zum Gottesdienst in die Synagoge zu kommen.

Zugleich war die Familie Schickler in der Lüneburger Stadtgesellschaft sehr aktiv. Adolf Schickler war u.a. Mitglied im Museumsverein, in der Freiwilligen Feuerwehr und im MTV Lüneburg. Sohn Harry gehörte dort zur Riege der Vorturner und war Vorstandsmitglied. Auch alle anderen Familienmitglieder engagierten sich in diesem bürgerlichen Sportverein.

Schon im April 1933 führte die Deutsche Turnerschaft in vorauseilendem Gehorsam den „Ariergrundsatz“ ein. Er besagte, dass alle jüdischen Mitglieder unverzüglich aus den Vereinen auszuschließen waren. Jüdische Frontkämpfer des 1. Weltkrieges waren zunächst noch ausgenommen, bald aber auch das nicht mehr. Der MTV Lüneburg schreibt heute selbstkritisch zu dem, was daraus folgte: „Aus dem Vorstandsprotokoll vom 24.04.1933 geht hervor, dass die Familie Schickler ihre Vereinsmitgliedschaft kündigt. Eine noble Geste der Schicklers dem MTV gegenüber, die Vorstand und Verein vor Peinlichkeiten und Schaden nach Außen bewahren. Andererseits zeigt beim MTV auch niemand soviel Courage, um sich vor die Familie Schickler zu stellen.“

Wie bei allen jüdischen Geschäftsinhabern begann 1933 für die Schicklers eine Zeit der Schikanen und zunehmender wirtschaftlicher Probleme. Nationalsozialistische Boykottaktionen und Kampagnen gegen alle, die noch „bei Juden“ einkauften, führten zu heftigen finanziellen Einbußen. Um 1935 mussten Adolf und Hulda Schickler die Wohnung in der Schillerstraße aufgeben. Zusammen mit ihrem Sohn Kurt zogen sie in die Große Bäckerstraße 23. Das Haus gehörte damals noch Marcus Heinemanns Tochter Emilie Heinemann.

In diesen Jahren gaben die meisten jüdische Geschäfte in Lüneburg auf. Aber die Schicklers blieben. 1938 gehörten sie zu den letzten Lüneburger Juden, die dem wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Druck noch standhielten, zusammen mit der Familie von Henry Jacobson, dem Eigentümer des Kaufhauses Gubi.

Die Novemberpogrome 1938 beendeten auf brutale Weise die jahrhundertelange Präsenz von Geschäften jüdischer Kaufleute in Lüneburg. In der Nacht vom 9./10.November zerschlugen NS-Aktivisten bei Schicklers wie auch beim nahegelegenen Kaufhaus Gubi alle Fenster des Geschäfts und verwüsteten die Ladenräume. Bei Schicklers legten sie außerdem Feuer. Die dort wohnenden Schicklers junior mit ihrer kleinen Tochter waren in Todesangst. Adolf Schickler und sein Sohn Harry wurden zusammen mit neun weiteren jüdischen Lüneburger Männern festgenommen. Man hielt sie zunächst im Gerichtsgefängnis am Markt fest und verschleppte sie am nächsten Tag ins KZ Sachsenhausen. Aus dem KZ entließ man zuerst Adolf und später Harry Schickler nur, damit sie den Zwangsverkauf von Haus und Geschäft in der Bardowickerstraße 4 mit ihren Unterschriften besiegeln konnten. Danach sollten sie, komplett ausgeraubt und entrechtet, so schnell wie möglich das Land verlassen.

Die vier Kinder der Schicklers schafften es, aus Deutschland zu fliehen. Adolf und Hulda Schickler blieben zunächst zurück, versuchten aber auch noch zu entkommen. Nach der erzwungenen „Arisierung“ ihres Hauses und Geschäfts sowie der Zahlung aller Zwangsabgaben schrieb Adolf Schickler im März 1939 einen Brief an die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums Hannover: „Ich bin 72 Jahre alt, meine Frau 70. Wenn es uns noch vergönnt sein sollte, werden wir zu unseren Kindern nach U.S.A. gehen.“

Es war ihnen nicht mehr vergönnt. Mit Beginn des Krieges scheiterten alle Pläne zur Emigration. Adolf Schickler, der letzte Vorsteher der Lüneburger jüdischen Gemeinde, musste gemeinsam mit seiner Frau Hulda bis zum bitteren Ende in Deutschland bleiben. Bis 1942 wohnten sie in einer Wohnung in der Großen Bäckerstraße 23, dem alten Haus der Familie Heinemann, das 1940 "arisiert" worden war und nun dem Kaufmann Theodor Brammer gehörte.

Im März 1942 zwang das NS-Regime sie, in das „Judenhaus“ Im Kreise 24 in Celle umzuziehen. Dort mussten sie auf engstem Raum bis Februar 1943 wohnen. Dann folgte der nächste Zwangsumzug, dieses Mal in das „Judenhaus“ Beneckestraße 6 in Hamburg. Von dort wurden sie am 7. Mai 1943 ins Ghetto/KZ Theresienstadt deportiert. Unter den unerträglichen Bedingungen in diesem Lager starb Adolf Schickler am 12. Mai 1943, kurz nach der Ankunft. Seine Witwe Hulda überlebte noch fast zwei Jahre in Theresienstadt. Sie starb am 8. Januar 1945 an den Folgen jahrelanger Unterernährung und nicht behandelter Krankheiten.


Quellen und Infos:

Familie Schickler, in: Sybille Bollgöhn, Jüdische Familien in Lüneburg, Lüneburg 1995, S. 18-27

Susan Rosenbaum-Greenberg, Lüneburg Remembered. A time before, during and after Jews were Germans among Nazis. A true story, Westport, CN 2007; https://www.amazon.com/Luneburg-Remembered-Before-During-Germans/dp/1556019068

Laura Bensow, Die Familie Schickler, in: Hanno Balz (Hrsg.), Verdrängung und Profit. Die Geschichte der „Arisierung“ jüdischen Eigentums in Lüneburg 1933-1943, Lüneburg 2011, S. 90-104

Ingrid Horn, Stolperstein in der Vereinsgeschichter, in: MTV Lüneburg, Sport, Nr. 3/Herbst 2009, S. 4. Online verfügbar

Stolpersteine in Celle für Hulda und Adolf Schickler - Im Kreise 24

Novemberpogrome in Lüneburg, Biografie: Familie Schickler

Harry Dörr: Von Lüneburg nach Theresienstadt. Aus dem Tagebuch der Hulda Schickler

Adolf Schickler in der Opferdatenbank Theresienstadt (holocaust.cz)

Transportliste Transport VI/6 Hamburg-Theresienstadt (die Namen von Adolf und Hulda Schickler stehen auf Seite 3):
https://www.statistik-des-holocaust.de/VI6-1.jpg
https://www.statistik-des-holocaust.de/VI6-2.jpg
https://www.statistik-des-holocaust.de/VI6-3.jpg

Namensvarianten: Aron Aaron