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Hulda und Adolf Schickler, September ... |
Mutter von
Ehefrau von Adolf Schickler [*1867]
Schwester von Ida Wolff, geborene Levi [*1886]
Adolf und Hulda Schickler (1928-1935)
Familie Louis Rosenbaum (1900-1906)
Familie Adolf Schickler (1906-1928)
Familie Harry Schickler (1925-1939)
Familie Alfred Hirsch (1937-1938)
Familie Abraham Ahrons (1763-1790)
Familie Isaak Abraham Ahrons (1790-1799)
Familie Marcus Heinemann (1862-1939)
Familie Salomon Heinemann (1860er/1870er)
Adolf und Hulda Schickler (1935-1942)
Sally und Lucie Baden-Behr (1939, 1941)
Große Bäckerstraße 23
Lüneburg
Louis Rosenbaum, Glas-, Porzellan- und Haushaltungsgeschäft (1900-1906)
Adolf Schickler, Schuh- und Bekleidungsgeschäft (1906-1938)
Hulda Levi wurde 1867 in Berkach geboren, das damals zu Sachsen-Meiningen gehörte. In diesem kleinen Ort gab es im 19. Jahrhundert eine vergleichsweise große Gemeinde; zeitweilig waren fast ein Viertel der Bewohner jüdischer Herkunft. Hulda war eine Tochter des Kaufmanns Levi (Vorname unbekannt) und seiner Frau Betty geb. Levi.
In den 1890ern heiratete Hulda den Kaufmann Adolf Aron Schickler aus Nienburg. Die beiden ließen sich in Nienburg nieder. Adolf Schickler war dort in der Textilbranche tätig. Zwischen 1894 und 1900 brachte Hulda Schickler vier Kinder zur Welt: Harry, Siegmund, Kurt und Käthe.
1906 zog die ganze Familie von Nienburg nach Lüneburg. In der Bardowicker Straße 4 übernahm sie das Haus von Louis Rosenbaum, der hier ein Haushaltswarengeschäft geführt hatte. Die Schicklers bauten nun ein Fachgeschäft für Schuhe und Herrenbekleidung auf, das schon bald zu einer festen Größe und einem sehr beliebten Einkaufsort in Lüneburg wurde. Die Familie wohnte oberhalb des Ladengeschäfts. Alle Kinder arbeiteten zeitweilig im Geschäft mit. 1928 übernahm Sohn Harry Schickler das Geschäft. Hulda und Adolf überließen der nächsten Generation auch ihre Wohnung oberhalb des Geschäfts und zogen in ein modernes Haus in der Schillerstraße 42, außerhalb der Altstadt. Sie arbeiteten jedoch beide weiterhin gelegentlich im Geschäft mit.
Die Familie Schickler nahm ihr Judentum sehr ernst: Hulda Schickler führte einen koscheren Haushalt; die Kinder erhielten Religionsunterricht von einem Lehrer aus Hamburg. Adolf Schickler war jahrzehntelang im Vorstand der Synagogengemeinde aktiv, zuletzt als Erster Vorsteher.
Zugleich waren alle Schicklers in der Lüneburger Stadtgesellschaft sehr aktiv. Adolf Schickler war u.a. Mitglied im Museumsverein, in der Freiwilligen Feuerwehr und im MTV Lüneburg. Sohn Harry gehörte dort zur Riege der Vorturner und war Vorstandsmitglied. Auch alle anderen Familienmitglieder engagierten sich in diesem bürgerlichen Sportverein.
Wie bei allen jüdischen Geschäftsinhabern begann 1933 für die Schicklers eine Zeit der Schikanen und zunehmender wirtschaftlicher Probleme. Obwohl sie in der Stadt sehr beliebt waren, führten nationalsozialistische Boykottaktionen und Kampagnen gegen alle, die noch „bei Juden“ einkauften, auch bei Schicklers zu starken finanziellen Einbußen.
Um 1935 mussten Hulda und Adolf Schickler ihre Wohnung in der Schillerstraße aufgeben. Zusammen mit ihrem Sohn Kurt zogen sie in die Große Bäckerstraße 23. Das Haus gehörte damals noch Marcus Heinemanns Tochter Emilie Heinemann.
In diesen Jahren gaben die meisten jüdische Geschäfte in Lüneburg auf. Aber die Schicklers blieben. 1938 gehörten sie zu den letzten Lüneburger Juden, die dem wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Druck noch standhielten, zusammen mit der Familie von Henry Jacobson, dem Eigentümer des Kaufhauses Gubi.
Die Novemberpogrome 1938 beendeten auf brutale Weise die jahrhundertelange Präsenz von Geschäften jüdischer Kaufleute in Lüneburg. In der Nacht vom 9./10.November zerschlugen NS-Aktivisten bei Schicklers wie auch beim nahegelegenen Kaufhaus Gubi alle Fenster des Geschäfts und verwüsteten die Ladenräume. Bei Schicklers legten sie außerdem Feuer. Die dort wohnenden Schicklers junior mit ihrer kleinen Tochter waren in Todesangst. Adolf Schickler und sein Sohn Harry wurden zusammen mit neun weiteren jüdischen Lüneburger Männern festgenommen. Man hielt sie zunächst im Gerichtsgefängnis am Markt fest und verschleppte sie am nächsten Tag ins KZ Sachsenhausen.
Hulda Schickler und ihre Schwiegertochter Else standen nun wie alle Angehörigen der ca. 30.000 Novemberpogrom-Häftlinge in Deutschland unter riesigem Druck: Sie mussten versuchen, ihre Männer aus dem KZ herauszubekommen, alles für eine Emigration der Familie zu organisieren und angesichts der angekündigten Beschlagnahmung ihres Eigentums Haushalt und Geschäft aufzulösen.
Aus dem KZ entließ man zuerst Adolf und später Harry Schickler nur, damit sie den Zwangsverkauf von Haus und Geschäft in der Bardowickerstraße 4 mit ihren Unterschriften besiegeln konnten. Danach sollten sie, komplett ausgeraubt und entrechtet, so schnell wie möglich das Land verlassen.
Die vier Kinder der Schicklers schafften es, rechtzeitig aus Deutschland zu fliehen: Kurt ging schon im März 1936 nach Kolumbien, Siegmund im Oktober 1938 nach New York, Harry im Februar 1939 ebenfalls nach New York, Käthe im Mai 1939 nach Panama.
Hulda und Adolf Schickler blieben zunächst zurück, versuchten aber auch noch zu entkommen. Nach der erzwungenen „Arisierung“ ihres Hauses und Geschäfts sowie der Zahlung aller Zwangsabgaben schrieb Adolf Schickler im März 1939 einen Brief an die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums Hannover: „Ich bin 72 Jahre alt, meine Frau 70. Wenn es uns noch vergönnt sein sollte, werden wir zu unseren Kindern nach U.S.A. gehen.“
Es war ihnen nicht mehr vergönnt. Mit Beginn des Krieges scheiterten alle Pläne zur Emigration. Hulda Schickler musste gemeinsam mit ihrem Mann Adolf bis zum bitteren Ende in Deutschland bleiben. Bis 1942 wohnten die beiden in einer kleinen Wohnung in der Großen Bäckerstraße 23, dem alten Haus der Familie Heinemann, das 1940 "arisiert" worden war und nun dem Kaufmann Theodor Brammer gehörte. In dieser Zeit verließen sie kaum noch das Haus, zumal sie seit dem 19. September 1941 gezwungen waren, den "Judenstern" deutlich sichtbar an ihrer Kleidung zu tragen.
Im März 1942 zwang das NS-Regime sie, in das „Judenhaus“ Im Kreise 24 in Celle umzuziehen. Dort mussten sie auf engstem Raum bis Februar 1943 wohnen. Dann folgte der nächste Zwangsumzug, dieses Mal in das „Judenhaus“ Beneckestraße 6 in Hamburg. Von dort wurden sie am 7. Mai 1943 ins Ghetto/KZ Theresienstadt deportiert.
Unter den unerträglichen Bedingungen in diesem Lager starb Adolf Schickler am 12. Mai 1943, kurz nach der Ankunft. Seine Witwe Hulda überlebte noch fast zwei Jahre in Theresienstadt.
In dieser Zeit schaffte sie es, sich in einem kleinen schwarzen Büchlein regelmäßig Tagebuchnotizen über das Leben und Leiden in Theresienstadt zu machen. Die Aufzeichnungen waren an ihre aus Lüneburg stammende Freundin Elfi Wolfsberg gerichtet, die es trotz ihrer eigenen bedrohten Position als Jüdin in einer "Mischehe" schaffte, regelmäßig Lebensmittelpakete und Briefe nach Theresienstadt zu schicken.
Unter anderem berichtete Hulda Schickler über Bekannte aus Lüneburg: "Daniel Dublon treffe ich ab und zu, der schlängelt sich überall durch. Henny [Dublon] ist nach Polen gekommen. Vor einigen Tagen traf ich auch Frau [Christine] Hinsel, geb. Marcus. So treffen sich viele Menschen von nah und fern." Am 23. Mai 1944 schrieb sie über die Deportation ihrer Freundin Else Horwitz: "Inzwischen war große Aufregung hier im Ghetto. Es sind nämlich 7 500 Menschen von hier fortgekommen. In 3 Abteilungen je 2500 Menschen. Angeblich sollen sie nach Birkenau gekommen sein. Näheres weiß niemand. Es ist alles ein Rätselraten. Jedenfalls sind wir, Gott sei Dank, bis jetzt verschont geblieben und wir hoffen, es mit Gottes Hilfe auch zu bleiben. Wenn man dass gesehen hat, wie die armen Menschen, hochbeladen und bepackt, zur Hamburger Kaserne wanderten – dort wurden sie verpflegt und waren zwei Nächte dort bis zur Weiterbeförderung. Das Herz blutete einem, das mit anzusehen. Auch Elschen Horwitz musste die Wanderung mit antreten."
Hulda Schickler geb. Levi lebte wie alle Bewohner des Ghettos Theresienstadt in ständiger Angst, ebenfalls nach Osten deportiert zu werden. Sie wurde zusehends dünner und schwächer, ihre Gesundheit war stark angegriffen. Am 8. Januar 1945 starb sie an den Folgen jahrelanger Unterernährung und nicht behandelter Krankheiten.
Hulda Schicklers Tagebuch konnte aus Theresienstadt herausgebracht werden. Vermutlich ist dies dem Rabbiner Leopold Neuhaus zu verdanken, der Hulda Schickler kannte. Die Aufzeichnungen, die nach dem Krieg von Hulda Schicklers Nachfahren in den USA abgeschrieben und übersetzt wurden, sind heute eine wichtige und überaus berührende Quelle für die Geschichte des Ghettos.
Quellen und Infos:
Familie Schickler, in: Sybille Bollgöhn, Jüdische Familien in Lüneburg, Lüneburg 1995, S. 18-27
Susan Rosenbaum-Greenberg, Lüneburg Remembered. A time before, during and after Jews were Germans among Nazis. A true story, Westport, CN 2007, passim. Hulda Schickler"s Tagebuch (in englischer Übersetzung): S. 227-241. https://www.amazon.com/Luneburg-Remembered-Before-During-Germans/dp/1556019068
Laura Bensow, Die Familie Schickler, in: Hanno Balz (Hrsg.), Verdrängung und Profit. Die Geschichte der „Arisierung“ jüdischen Eigentums in Lüneburg 1933-1943, Lüneburg 2011, S. 90-104
Harry Dörr: Von Lüneburg nach Theresienstadt. Aus dem Tagebuch der Hulda Schickler.
Hulda Schickler in der Opferdatenbank Theresienstadt (holocaust.cz)
Transportliste Transport VI/6 Hamburg-Theresienstadt (die Namen von Adolf und Hulda Schickler stehen auf Seite 3):
https://www.statistik-des-holocaust.de/VI6-1.jpg