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Israel Sonn [*1883]

Geboren am 22.03.1883 in Neukirchen, Kreis Ziegenhain, gestorben am 06.11.1918 in Lüneburg im Alter von 35 Jahren

Israel Sonn wurde 1883 im nordhessischen Neukirchen als Sohn des Handelsmanns Levi Sonn und seiner Frau Pauline geb. Goldschmidt geboren. Er wurde Buchbinder und lebte später in Harburg. Dort heiratete er 1904 Jutta Dwora (Devora) Apteker, die aus Kolomea in Galizien stammte. Zwischen 1905 und 1910 kamen ihre vier Kinder Leopold, Wilhelm, Max und Rose in Harburg zur Welt.

Der vierfache Vater Israel Sonn nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse ausgezeichnet. Gegen Ende des Krieges erkrankte er in Belgien an der Front an einer Lungenentzündung. Er kam ins Lazarett in Lüneburg, wo er am 6. November 1918 starb, wenige Tage vor Ende des Ersten Weltkrieges. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Lüneburg beerdigt.

Seine Witwe Jutta Sonn ließ einen aufwändig gestalteten Grabstein aufstellen, auf dem stand: "Hier ruht in Frieden mein lieber Mann und meiner Kinder treusorgender Vater Israel Sonn, geb. 22.3.1883. gest. 6.11.1918". Die Familie lebte später in Hamburg. Jutta Sonn konnte mit ihren vier Kindern 1934 der NS-Judenverfolgung entkommen: Die ganze Familie floh von Hamburg aus in die USA, wo sie sich zunächst in Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania niederließen.

1963 reiste Israel Sonns Sohn Max aus den USA nach Deutschland. Nach seiner Rückkehr in die USA schickte er einen Brief an den Lüneburger Stadtrat. Er schrieb: "Ich verließ Deutschland im Dez. 1934 wegen der Judenverfolgung, am 13. Mai dieses Jahres machte ich einen Flug nach Hamburg; es war das erste Mal in 28 Jahren, dass ich deutschen Boden wieder betreten hatte. Ich besuchte [...] die Gräber meiner Verwandten auf den Jüdischen Friedhöfen in Hamburg und Harburg, beide Friedhöfe waren vollständig intakt, die Friedhöfe und Gräber werden von der Stadtverwaltung in Ordnung gehalten.

Am 16. Mai fuhr ich nach Lüneburg, um das Grab meines Vaters zu besuchen, der im ersten Weltkrieg auf dem Jüdischen Friedhof in Lüneburg begraben wurde. [...] Ich hatte einen 4000-Meilen-Flug gemacht, um nach 28 Jahren ein Gebet am Grabe meines Vaters zu sagen. Dann wurde mir die unmenschliche Nachricht mitgeteilt, dass der Jüdische Friedhof von den Nazis zerstört wurde und dem Erdboden gleichgemacht. Da war eine Frage, die ich mir nicht beantworten konnte! Warum die Zerstörung des Friedhofes in Lüneburg und nicht in Hamburg und Harburg? - Nachdem mir die entsetzliche Nachricht von der Zerstörung des Friedhofes mitgeteilt wurde, kam das Bild von der Ermordung von 6.000.000 Juden, die grässlichste Schandtat in der Geschichte der Menschheit, vor meinen Augen, unter diesen Opfern waren 8 sehr nahe Verwandte von mir. Ich sprach zu einem Assistent vom Bürgermeister im Rathaus und auch zu einem Pastor von der St. Johanniskirche und habe diesen Herren gegenüber meinen Protest zum Ausdruck gebracht wegen der schändlichen Zerstörung des Friedhofs in Ihrer Stadt."

Max Sonn und seine damals 83-jährige Mutter erklärten, dass sie einen neuen Stein auf einem Friedhof in der Nähe ihres Wohnorts in den USA aufstellen wollten und dass die Stadt Lüneburg es doch sicher als Ehrensache ansehe, die Kosten dafür zu übernehmen. Er fügte Fotos von seinem Vater im Uniform und von dem Lüneburger Grabstein bei.

Die Stadt Lüneburg nahm diese Bitte zum Anlass, ein älteres Projekt wieder aufzunehmen: Die Aufstellung eines allgemeinen Gedenksteins auf dem jüdischen Friedhof zur Erinnerung an alle dort Bestatteten. Dies war schon in den 1950ern vom Landesverband der jüdischen Gemeinden vorgeschlagen, jedoch von der Stadt nicht umgesetzt worden. In einem internen Vermerk des Oberstadtdirektors vom August 1963 wurde deutlich, warum man nun doch die Aufstellung eines solchen Steins vorantreiben wollte: Man könne dann Max Sonn gegenüber vertreten, "daß durch die [...] Aufstellung eines Gedenksteins auf stadtseitige Kosten eine weitere Kostenübernahme im Einzelfall nicht erfolgen könne, nicht zuletzt im Hinblick darauf, daß eine solche Handhabung zweifellos weitere Rückwirkungen nach sich ziehen wird."

Der Plan ging allerdings nicht auf: Der Landesverband der jüdischen Gemeinden reagierte zwar erfreut auf die Bereitschaft der Stadt, einen zentralen Gedenkstein zu finanzieren, machte jedoch deutlich, dass dies keinesfalls genüge: "Dem Wunsch des Herrn Max Sonn aus Wilmington/USA bitten wir zu entsprechen, da wir leider schon mehrfach haben erleben müssen, dass die Besucher aus dem Ausland nicht mehr an die Gräber ihrer Verstorbenen treten konnten, weil der Friedhof zerstört und nicht einmal mehr die Lage der einzelnen Gräber festzustellen war. Daher können wir die Verbitterung des Herrn Sonn darüber verstehen."

Auch Max Sonn selbst war nicht zufrieden mit dem Verweis auf den geplanten allgemeinen Gedenkstein. Im Dezember 1963 schrieb er an Stadtdirektor Segelcke: "Wie ich in meinem Schreiben an den Stadtrat bemerkte, wollen wir einen neuen Grabstein auf einem hiesigen Friedhof errichten, da unser Grabstein in Ihrer Stadt zerstört worden ist, somit ist die Stadt Lüneburg für den Schaden verantwortlich. - Ich hoffe, dass wir die Angelegenheit in friedlicher Weise lsen können, damit ich mich nicht an die Bundesregierung, deutsche und amerikanische Zeitungen wenden muss."

Nun sah sich die Stadt Lüneburg offenbar gezwungen zu reagieren. Im Februar 1964 überwies sie 150 Dollar (damals knapp 600 DM) an Max Sonn für die Aufstellung eines Grabsteins für seinen Vater in den USA.

Vor Ort in Lüneburg dauerte es noch länger, bis endlich an die auf dem jüdischen Friedhof Bestatteten erinnert wurde: Erst im Sommer 1965 wurde auf dem Gelände des total zerstörten Friedhofs ein Gedenkstein aufgestellt. Bei der Einweihung im Juli 1965 verwies Oberbürgermeister Trebchen unter anderem direkt auf Israel Sonn, wenn auch unter Nennung eines falschen Vornamens: "Im Ersten Weltkrieg seien viele jüdische Mitbürger für ihr Vaterland eingetreten, so auch der damals mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnete Max Sonn."


Quellen und Infos:

Schritfwechsel der Stadt Lüneburg mit Max Sonn, 1963-1964, in: Stadtarchiv Lüneburg, VA3_674201_1931-1989

Für die Versöhnung über Gräber hinweg: Städtischer Gedenk-Obelisk auf dem ehemaligen Judenfriedhof, in: Landeszeitung Lüneburg, 05.07.1965

Namensvarianten: Isaak