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Lisa Stern, geborene Behr [*1918]

Geboren am 30.10.1918 in Lüneburg, gestorben am 06.05.2008 in Nahariya, Israel im Alter von 90 Jahren
Lisa Stern, am Tisch sitzend, Schulklasse Lyzeum Lüneburg, um 1930; Geschichtswerkstatt Lüneburg
Lisa Stern, am Tisch sitzend, ...
Lisa und Arno Behr vor dem Wohn- und Geschäftshaus ihrer Familie in der Bardowicker Straße 12, ca 1925; Privatbesitz Reuven Stern
Lisa und Arno Behr vor dem Wohn- und ...
Lisa Stern geb. Behr, o.D.; Privatbesitz Reuven Stern
Lisa Stern geb. Behr, o.D.
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Arnold Behr und Lisa Stern geb. Behr beim Besuch in Lüneburg 1995; Landeszeitung Lüneburg, 18.09.1995
Arnold Behr und Lisa Stern geb. Behr ...

Arbeitsstätte

Schuh- und Texthilhaus N. Behr (1878-1938)

Bardowicker Straße 12
Lüneburg

Wohnort

Familie Nathan Behr (1878-1914)
Familie Max Behr, Familie Baden-Behr (1914-1941)

Bardowicker Straße 12
Lüneburg

Lisa Behr war das jüngste Kind des Schuhhändlers Max Behr und seiner Frau Lucie geb. Joseph. Als sie später Erinnerungen für ihre Enkel aufschrieb, erinnerte sie sich: "Ich bin am 30 Oktober 1918, ein paar Tage vor Ende des 1. Weltkrieges geboren. In einer schlimmen Grippeepidemie, als bei uns im Haus, ausser meiner 9 Jahre älteren Schwester, alle krank waren. Nur die Schwestern eines katholischen Stifts haben für all die Kranken gesorgt und mich auf diese Welt geholt."

Als sie fünf Jahre alt war, starb ihr Vater Max an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung aus dem "Boxeraufstand" in China im Jahr 1900. 1925 heiratete ihre Mutter erneut. Ihr zweiter Mann Sally Baden nahm sich der Familie rührend an und wurde für Lisa und ihre Geschwister ein sehr guter Vater.

Lisa besuchte in Lüneburg die Grundschule und das Lyzeum (heute Wilhelm-Raabe-Schule). Sie erfuhr wachsende antisemitische Schikanen, Freundinnen wandten sich von ihr ab, sie wurde immer weiter ausgegrenzt. In der Tanzstunde weigerten sich alle nichtjüdischen Jungen, mit ihr zu tanzen. Sie tanzte dann mit Walter Less, der ebenfalls aus einer jüdischen Familie kam. Vom Abtanzball wurden die beiden ausgeschlossen. "Ich hatte einen sehr nazistischen Klassenlehrer noch vor Hitler. Später wurde mein Mathelehrer mein Klassenlehrer, der sehr fair zu mir war. Als ich dann nach 10 Klassen die Schule verließ, suchte dieser Lehrer meinen Vater auf und wollte Vati überrreden, mich das Abitur machen zu lassen, aber ich wollte das nicht, denn bis 1935, als ich von der Schule abging, hatte ich schon genug gesehen." Sie arbeitete dann ein Jahr im elterlichen Geschäft und bereitete ihre Auswanderung vor. Ihr Bruder Arnold war schon 1934 nach Palästina gegangen.

Obwohl ihre Eltern von der Idee nicht begeistert waren, emigrierte Lisa schließlich 1936 nach Palästina und ging dort zunächst auf die Landwirtschaftsschule für Mädchen in Nahalal (zwischen Haifa und Nazareth gelegen). Lisa erinnerte sich an die schwere erste Zeit im fremden Land: "Ich hatte schreckliches Heimweh und wäre am liebsten mit dem nächsten Schiff wieder nach Hause gefahren. [...] Nahalal machte es mir nicht gerade leicht, das Heimweh zu überwinden. Man sprach nur Ivrit [=Hebräisch], obwohl 2 Hausmütter aus Deutschland waren. So lernte ich allerdings recht schnell zu verstehen."

1936 kam ihr Vater zu Besuch, 1937 ihre Mutter. Lisa und Arno versuchten die beiden dazu zu überreden, auch nach Palästina zu kommen, aber die Zukunft dort war den Eltern zu ungewiss. Sie wollten in Lüneburg bleiben, nicht zuletzt aus Sorge um das Geschäft, das immer stärker unter Druck geriet. Nach dem Novemberpogrom und der dreimonatigen Inhaftierung von Sally Baden im KZ Sachsenhausen 1938/39 organisierte Lisas große Schwester Ruth die Auswanderung der Eltern zu ihr nach Australien. Der Kriegsbeginn am 1. September 1939 machte jedoch allen Plänen ein Ende. Die Verbindung der Kinder im Ausland zu den Eltern in Lüneburg brach komplett ab. Erst nach dem Krieg erfuhren Ruth, Arnold und Lisa, dass Sally und Lucie Baden-Behr Ende 1941 von Lüneburg über Hamburg in den Osten deportiert worden waren und nicht überlebt hatten.

Lisa arbeitete in verschiedenen Jobs in Nahariya und später in dem von deutschen Einwanderern gegründeten und noch heute bestehenden Milchviehbetrieb "Strauss Dairy" in Nahalal. Über eine Freundin lernte sie Rudi Stern kennen, der illegal aus Deutschland eingewandert war und anderthalb Jahre lang in einem Internierungslager der britischen Mandatsmacht in Atlit festgehalten worden war. 1943 heirateten die beiden und bekamen drei Kinder: Reuven, Ruth und Miriam. Lisa und Rudi Stern fingen gemeinsam an, in einem Hinterhof Fahrräder zu reparieren und bauten dann ein großes Fahrradgeschäft in Nahariya auf, das sie 40 Jahre lang führten.

In den 1960er Jahren nahm ihre alte Freundin Christa Abbenseth aus der Wilhelm-Raabe-Schule wieder Kontakt zu Lisa auf. 1966 kam Lisa Stern zum ersten Mal wieder nach Lüneburg, um sie zu besuchen. Zu Fuß ging sie vom Bahnhof zu Christas Wohnung. 1995 erinnerte sich Lisa gegenüber der Lüneburger Landeszeitung an diese Situation: "Da wäre ich am liebsten wieder umgedreht, denn mir war klar, daß dies wohl das letzte Stückchen Weg in Lüneburg war, das meine Eltern damals gegangen sind." Lisa und Christa blieben ihr Leben lang Freundinnen und haben diese israelisch-deutsche Freundschaft auch an ihre Kinder und Enkel weitervererbt.

1995 iäußerte sich Lisa Stern auch zu ihren Erfahrungen mit deutschen Touristen in Israel. "Dabei habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Einmal jedoch hat eine deutsche junge Frau gesagt, sie wolle vor allem nichts über Kollektivschuld hören. Ich habe ihr geantwortet, ich glaube auch nicht an Kollektivschuld, aber daß ich an meine ermordeten Eltern denke, müsse sie mir schon erlauben."

Lisa Stern geb. Behr aus Lüneburg starb 2008 in Israel.


Quellen und Infos:

Handgeschriebene Erinnerungen von Lisa Stern für ihre Enkel; Privatbesitz Reuven Stern

Erinnerungen von Lisa Stern, zitiert nach Sybille Bollgöhn, Jüdische Familien in Lüneburg, Lüneburg 1995, S. 29-35

https://www.israeldairy.com/strauss-dairy/

Nahalal, Moshav und Landwirtschaftsschule




Namensvarianten: Elisabeth